Die 21-jährige Frilly stammt aus Palu und arbeitet als Übersetzerin für Medair und unsere lokalen Partner vor Ort. Hautnah hat sie im September 2018 das heftige Erdbeben in Indonesien miterlebt. Ihre Heimatstadt auf Zentralsulawesi war besonders heftig betroffen. Durch ihre Arbeit kommt Frilly immer wieder in Kontakt mit Betroffenen und hört ihre Geschichten. Viele sind noch traumatisiert. Medair-Mitarbeiterin Paola Barioli sprach mit Frilly über die vergangenen sechs Monate nach der Katastrophe.

Paola: Welche Erinnerungen hast du an dem Tag des Erdbebens?

Frilly: Ich war gerade auf der Arbeit. Zuerst dachte ich, es wäre ein schwaches, harmloses Beben. Die gibt es in Palu öfter. Doch schon nach zwei bis drei Sekunden spürte ich: Dieses Erdbeben ist anders. Viel stärker! Auf einmal gingen alle Lichter aus. Panisch suchte ich nach einem Fluchtweg, aber die Erschütterungen waren so stark, dass ich mich festhalten musste. Ich konnte nicht rennen, konnte nicht fliehen. Plötzlich knallte ich mit dem Kopf auf den harten Betonboden.

Ein besonders zerstörerisches Naturphänomen ist die Bodenverflüssigung: Während eines Bebens wird normalerweise feste Erde dermaßen aufgelockert, dass sie sich verflüssigt und unter Umständen ganze Dörfer unter sich begräbt.

Frilly: Irgendwie schaffte ich es, das Gebäude zu verlassen. Als ich endlich nach draußen gelangte, stockte mir der Atem. Was ich sah, war schrecklich. Ein großes Chaos. Menschen schrien und rannten durcheinander. Ich rannte mit. Die Wunde an meinem Kopf musste behandelt werden und ich eilte ins Krankenhaus. Dort angekommen, wurde mir das Ausmaß der Katstrophe erst richtig bewusst. Überall lagen Leichen. Es war im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle. Alle waren wir verwirrt und besorgt um ihre Familien. Noch nie hatte ich so etwas Schreckliches erlebt.

Aber diese allgemeine Verzweiflung hatte, so seltsam es klingen mag, auch eine gute Seite: In der Not fingen wir alle an, einander zu helfen. Wenn ich daran zurückdenke, wird mir richtig warm ums Herz. Sogar in den widrigsten Umständen sind wir Menschen dazu in der Lage, füreinander da zu sein. Es waren harte, aber sehr besondere Momente.

Wie hat die Katastrophe den Alltag der Menschen aus Palu verändert?

Das Beben stellte das Leben der Menschen komplett auf den Kopf. Vorher hatten wir einen ganz normalen Alltag. In unserer kleinen Stadt grüßten sich die Menschen, waren nett zueinander. Kinder gingen zur Schule, Erwachsene zur Arbeit. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Jeder Tag ist von so viel Unsicherheit geprägt.

Nach der Katastrophe ging es auch mir schlecht. Nichts war mehr so, wie ich es von früher kannte. So ging es vielen. Wir waren deprimiert, weil niemand wusste, wie es nach dem Beben weitergehen sollte.

Sechs Monate später: Wie ist die Situation heute?

Wenn ich mit Menschen aus Palu und Umgebung spreche, stelle ich fest: Die Bedürfnisse haben sich verschoben. Es geht nicht mehr vorallem um Nahrungsmittel, Unterkünfte und sauberes Trinkwasser. Betroffene ringen damit, wie sie wieder ein unabhängiges Leben führen können. Ich denke jedoch nicht, dass alles bald wieder so sein wird, wie es früher war. Vielleicht wird es das nie wieder sein.

Die Katastrophe hat unser Leben unglaublich stark beeinflusst. In Zentralsulawesi gibt es zwar durchaus Gebiete, die sich nach und nach erholen. An anderen Orten ist die Zerstörung hingegen einfach zu groß. Damit die Leute dort wieder zu einem „normalen“ Alltag zurückfinden können – dafür reichen sechs Monate nicht aus.

Was ist momentan der dringendste Bedarf?

Psychologische Hilfe hat nach wie vor hohe Priorität. Insbesondere für Menschen aus schwer zerstörten Gebieten. Ich habe mit vielen Betroffenen gesprochen. Einige von ihnen trauen sich nicht mehr zurück in ihre alten Dörfer. Für sie ist das Erlebte zu traumatisch.

Frilly spricht mit einer Familie, die vom Erdbeben getroffen wurde.

Gibt es jemanden, dessen Geschichte dich besonders berührt hat?

Eine Frau, mit der ich gesprochen habe, erlitt während des Erdbebens eine Fehlgeburt. Sie heißt Sundari. Ihr Schicksal hat mich sehr berührt. Sie sagte mir, was ihr nach dieser schweren Erfahrung Kraft gegeben hat: Es war die bedingungslose Unterstützung ihrer Familie. Und ihr eigener Wunsch, nach der Katastrophe wieder ein geregeltes Leben führen zu können. Ich habe gelernt, dass es einfache, grundlegende Dinge sind, die Betroffenen nach einem Schicksalsschlag neue Hoffnung geben.

Die 35-jährige Sundari erlitt bei dem Erdbeben eine Fehlgeburt.

Hast du eine Botschaft für die Menschen weltweit?

Ja, ich möchte sagen, dass wir in Palu sehr stark sind. Diese Katastrophe haben wir überstanden. Unser Leben ist im Moment nicht einfach – aber wir geben nicht auf! Wenn die Aufmerksamkeit in den internationalen Medien nachlässt, können Überlebende nach Katastrophen in Vergessenheit geraten. Das bedeutet aber nicht, dass wir in Palu keine Hilfe mehr benötigen, etwa für den Wiederaufbau unserer Häuser. Vor dem Erdbeben hatten wir ein normales Leben, genau wie ihr. Ich hoffe sehr, dass die Menschen uns weiterhin unterstützen werden, uns auch auf zukünftige Katastrophen besser vorzubereiten.

Frilly mit der achtjährigen Nur. Ihre Familie wurde von Medair unterstützt wurde.

 

"Vor dem Erdbeben hatten wir ein normales Leben, genau wie ihr. Ich hoffe sehr, dass die Menschen uns weiterhin unterstützen werden, uns auch auf zukünftige Katastrophen besser vorzubereiten." Frilly aus Palu auf Zentralsulawesi

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