Die Auswirkungen der zahlreichen Krisen im Libanon haben den Bedarf an psychosozialer Unterstützung in allen Bevölkerungsgruppen, auch bei Jugendlichen, erhöht.

„Ich glaube, dass die psychische Gesundheit mit unserer allgemeinen Gesundheit und unserem Wohlbefinden zusammenhängt. Durch die Teilnahme an diesen Sitzungen habe ich erkannt, wie wichtig es ist, meine Gedanken mit anderen in einem sicheren Umfeld zu teilen“, sagt Luciana.

Abdul Dennaoui, MEDAIR-Kommunikationsbeauftragter im Libanon, begleitet das MEDAIR-Team für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung auf einem Projektbesuch im Gebiet Beddawi in Tripoli, im Norden des Libanon. Wer den Libanon kennt, weiß, dass die Bevölkerung in Tripolis seit langem mit Armut zu kämpfen hat. Das Gebiet Beddawi, das etwa fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt, ist inzwischen dicht besiedelt und verfügt nur über begrenzte Ressourcen und Dienstleistungen. Die anhaltende Krise, die begrenzten wirtschaftlichen Aussichten und die hohe Arbeitslosigkeit haben die örtliche Bevölkerung noch weiter in die Armut getrieben, so dass es für die Familien immer schwieriger wird, sich stabile Einkommensquellen zu sichern und ihre Grundbedürfnisse zu decken.

Für libanesische Jugendliche unter achtzehn Jahren bietet MEDAIR hier sogenannte „Peer-Support-Gruppen“, Unterstützungsgruppen für Gleichaltrige, an. Die Gruppe trifft sich einmal wöchentlich für etwa zwei Stunden im Vereinszentrum Al Ribat und behandelt eine breite Palette von Themen im Bereich der psychischen Gesundheit. Dennaoui ist eingeladen worden, solch einer Sitzung beizuwohnen, und einen kleinen Einblick zu erhalten. In der heutigen Sitzung werden Trauer und Verlust behandelt. Tania, Leiterin psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung bei MEDAIR Libanon, erklärt: „Ziel der Gruppe ist es, das Wohlbefinden und die gesunde psychosoziale Entwicklung der Jugendlichen zu fördern und Raum für eine bessere Kommunikation zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern oder Betreuungspersonen zu schaffen.“

Luciana, 15, während der Sitzung zur psychischen Gesundheit über Trauer und Verlust im Al Ribat Association Center in Beddawi, Tripoli, Libanon.

Die Teilnehmenden begrüßen Dennaoui mit freundlichen Gesichtern, als er den Raum betritt. Die Sitzung beginnt, und schnell wird offensichtlich, dass die Gruppe der Jugendlichen in einem von der Krise gebeutelten Land eine Reihe komplexer Herausforderungen zu bewältigen hat. Dies hat sich erheblich auf ihr psychisches Wohlbefinden ausgewirkt. Die Art der Krise, die wirtschaftliche Instabilität, politische Unruhen und zivile Unruhen umfasst, hat ein Umfeld von Stress und Trauma geschaffen.

Die Jugend ist eine kritische Phase der Identitätsbildung, in der der Mensch ohnehin schon aus biologischen Gründen mit vielen starken Emotionen konfrontiert wird. Gerade deshalb sind Jugendliche besonders anfällig für die langfristigen negativen Auswirkungen einer solchen Krise. Für diese jungen Menschen besteht ein erhöhtes Risiko für Angstzustände, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen.

Elise, die bei MEDAIR für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung zuständig ist, berichtet von ihrer eigenen Erfahrung als Jugendliche: „Was brauchen Jugendliche generell in schwierigen Zeiten wie diesen? Als ich in ihrem Alter war, wollte ich gehört und verstanden werden. Ich wollte mich sicher fühlen, wenn ich meine Ängste und Zweifel mit anderen teilen wollte. Ich brauchte Beratung, ohne verurteilt zu werden. Es war schön, Bewältigungsmechanismen zu haben, die mir halfen, mit dem Leben im Allgemeinen umzugehen. Keine solchen Denkprozesse oder Bewältigungsmechanismen zu haben, kein sicheres Umfeld zu haben, in dem man sich Luft machen kann, kann sich negativ auf die mentale Gesundheit der Jugendlichen auswirken.“

Der 16-jährige Borhan nimmt heute zum ersten Mal an der Sitzung teil und erzählt: „Die Sitzung macht mir sehr viel Spaß. Ich persönlich finde es wichtig, dass wir uns unseren Gedanken stellen, vor allem in einer Gruppe, ohne uns zurückzuhalten. Die Situation im Libanon ist ziemlich schwierig, und ich verstehe, dass es für jemanden in meinem Alter wichtig ist, ein Ventil zu haben; jemanden, an den ich mich wenden kann, um mir Luft zu machen. Es ist schön, mit anderen darüber zu sprechen.“

Borhan, 16, ist zum ersten Mal bei der Sitzung dabei: "Es ist wichtig ein Ventil zu haben und mit anderen darüber zu sprechen."

Die Gruppensitzungen bieten den Jugendlichen ein sicheres Umfeld, in dem sie ihre Meinung und Erfahrung offen äußern können. Zudem werden verschiedene Bewältigungsstrategien gelehrt, die die Jugendlichen anwenden können, um mit ihren Emotionen umzugehen, Widerstandsfähigkeit zu entwickeln und die Herausforderungen der Krise zu bewältigen.

All dies fördert langfristig das psychische Wohlbefinden von jungen Menschen und sichert den Fortbestand einer gesunden und produktiven Generation. Luciana, 15 Jahre alt, eine Teilnehmerin des Seminars, erklärt: „Ich glaube, dass die psychische Gesundheit mit unserer allgemeinen Gesundheit und unserem Wohlbefinden zusammenhängt. Durch die Teilnahme an diesen Sitzungen habe ich erkannt, wie wichtig es ist, meine Gedanken in einem sicheren Umfeld mit anderen zu teilen. Ich fühle mich gut, wenn ich sagen kann, was mir durch den Kopf geht, und ich kann von den anderen lernen, wenn sie ihre eigenen Gedanken teilen.“

Im Libanon verfolgt MEDAIR mit der Strategie für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung einen gemeinschaftsbasierten Ansatz. Ein Hauptpfeiler dieses Ansatzes ist die Erbringung vieler Dienstleistungen durch geschulte Freiwillige aus der Gemeinschaft. MEDAIR schult die freiwilligen Helfer in verschiedenen Bereichen, wie etwa in der Gruppenmoderation, in der unterstützenden Kommunikation und in psychosozialen Hilfeleistungen. Auf diese Weise erwerben lokale Bewohner und Bewohnerinnen nicht nur unschätzbare Fähigkeiten im Bereich des psychologischen Wohlbefindens und der Resilienz, sondern können dieses Wissen auch an ihre Mitmenschen weitergeben. So wird ein Multiplikatoreffekt ins Rollen gebracht, der in ihrer eigenen Familie und Gemeinschaft beginnt.

Elise, MHPSS-Beauftragte von MEDAIR, spricht mit den jugendlichen Teilnehmern über Verlust und Trauer.

Das Projekt wird u.a. durch private Spenden und das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland unterstützt.