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Frauen brauchen Netzwerke – Ein Gespräch mit Anne Reitsema
Zum Internationalen Monat der Frau spricht Anne Reitsema, Geschäftsführerin von Medair International, über inspirierende Begegnungen und Medairs Beitrag zur Unterstützung hilfsbedürftiger Frauen.
Es gibt viele Gesichtspunkte, aus denen man den Internationalen Frauentag/-monat betrachten kann. Was fällt Dir ein, wenn Du diesen Monat im Zusammenhang mit Medair betrachtest?
Bei Medair wissen wir, dass Frauen und Kinder bei Konflikten und Katastrophen am meisten gefährdet sind. In meiner Funktion habe ich das Privileg, die Länder zu besuchen, in denen wir humanitäre Hilfe leisten – und die Freude, aus erster Hand von unseren Teams über ihre Arbeit zu hören. Wenn ich mit unseren weiblichen Mitarbeitenden spreche, wird deutlich, dass die Ausführung ihrer Arbeit als humanitäre Helferinnen oder eine berufliche Weiterentwicklung oft eine Herausforderung darstellen, nur weil sie Frauen sind.
Was mir jedoch am meisten auffällt, ist die Inspiration, die sie voneinander erhalten. Eine Kollegin sagte kürzlich zu mir: „Dein Mut macht mir Mut – und mein Mut macht der nächsten Frau Mut.“ Diese Bemerkung ist für mich ein greifbares Beispiel dafür, dass Hoffnung ansteckend ist. Wir inspirieren uns gegenseitig, weil wir die Hoffnung sehen, die durch den Mut und das Handeln der anderen entsteht.
Wie unterstützt Medair bedürftige Frauen?
Eine Art, wie Medair in Ländern, in denen es eine echte Herausforderung sein kann, eine Frau zu sein, Unterstützung leistet, ist unser Betreuungsgruppenmodell. Es ist herzerwärmend, wenn wir den Gemeinschaften zur Seite stehen und ihnen helfen, hilfreiche Unterstützungsnetzwerke aufzubauen, die es den Menschen ermöglichen, sich auch über unsere Anwesenheit hinaus umeinander zu kümmern.
Die Frauen in den von uns unterstützten Gemeinschaften haben eine wichtige Funktion inne, indem sie ihre Mitmenschen, die wie sie von Konflikten oder Katastrophen betroffen sind und viel zu verarbeiten haben, betreuen und unterstützen.
Der Aufbau dieser Gemeinschaftsnetze und die Sicherstellung ihrer Wirksamkeit erfordern Zeit, Mühe, Mitgefühl und Beharrlichkeit. Wir bilden Projektträger aus, die wiederum „leitende Mütter“ (aus dem Englischen „Lead Mothers“) ausbilden, die sich dann um eine Gruppe von Nachbarinnen kümmern und ihnen dabei helfen, gesunde Verhaltensweisen und Praktiken wie Stillen, Ernährung oder psychische Gesundheit zu übernehmen. Es ist ein Ansatz, der Gemeinschaften befähigt und in die Lage versetzt, füreinander zu sorgen.
Ich war erstaunt über das eifrige Engagement der Frauen in diesen Gemeinschaften, diese Plattformen für Pflege, Heilung und das Zusammenbringen von Menschen zu schaffen und zu verankern. Sie opfern ihre Zeit dafür, weil sie die positiven Auswirkungen sehen können – und dass sie durch ihre Pflege- und Präventionsbemühungen Leben retten.
"Besonders beeindruckt hat mich eine Frau, die ihr Baby erst drei Tage zuvor entbunden hatte und drei Kilometer zur Klinik gelaufen war, um Hilfe für die Infektion des Babys zu bekommen." Anne Reitsema
Wie berücksichtigt Medair die Sicherheit von Frauen bei der Planung der Hilfsprogramme?
In den Ländern, in denen wir tätig sind, gibt es zahlreiche Orte, die Frauen und Mädchen in Gefahr bringen können. Nehmen wir zum Beispiel die Aufgabe des Wasserholens, die in der Regel von den weiblichen Mitgliedern eines Haushalts übernommen wird. Bei unserer Programmplanung berücksichtigen wir bei der Wahl des Standorts einer Wasserentnahmestelle nicht nur die beste Wasserentnahmestelle gemäß den hydrogeologischen Karten, sondern vor allem auch die Entfernungen, die die Frauen zu Fuß zurücklegen müssen, oft allein und ohne Schutz.
Wir betrachten unsere Programmplanung – einschließlich der Bargeldhilfe – stets durch eine „Schutzbrille“, die die Sicherheit der Frauen in den Vordergrund stellt und die Gefahren minimiert. Dazu gehört auch, dass wir Möglichkeiten organisieren, wie Gemeinschaften in großen Gruppen zusammenkommen können, oder dass wir kulturell angemessene Lösungen für Frauen in Regionen anbieten, in denen von ihnen eine Begleitung erwartet wird.
Kannst Du uns von einer Hilfsempfängerin erzählen, die Dich inspiriert hat?
Es gibt so viele! Aber ich beginne mit der aktuellsten. Ich bin gerade aus Afghanistan zurückgekehrt. Bei meinem Besuch in einer der Medair-Kliniken, in der täglich Hunderte von Menschen medizinisch und ernährungstechnisch versorgt werden, hatte ich Zeit, mit einigen der dortigen Mütter zu sprechen. Besonders beeindruckt hat mich eine Frau, die ihr Baby erst drei Tage zuvor entbunden hatte und drei Kilometer zur Klinik gelaufen war, um Hilfe für die Infektion des Babys zu bekommen.
Bei Medair sprechen wir davon, dass wir die Extrameile gehen, um Menschen zu helfen. Was mir bei dieser Gelegenheit auffiel, war, dass sie mehr als nur eine Meile zurückgelegt hatte: Sie nahm die Strapazen zu Fuss auf sich, angetrieben von der Liebe einer Mutter für ihr Kind. Diese Energie und Bereitschaft, für den Wert des Lebens ihres Kindes zu kämpfen, hat mich wirklich inspiriert. Es war ein Privileg, die Frauen in der Klinik in ihrer Not aufzufangen, und es war wirklich motivierend, diese Realität zu sehen.
Wer ist eine Kollegin, die Dich inspiriert hat?
In den Jahren meiner Tätigkeit bei Medair habe ich so viele bemerkenswerte Frauen kennengelernt, die so viel echte Fürsorge und Mitgefühl für die Menschen ausstrahlen. Viele meiner jetzigen Kolleginnen und Kollegen kommen mir sofort in den Sinn, und ich kann mich nur dafür entschuldigen, dass ich sie nicht alle beim Namen nennen kann!
Zum Beispiel Becks aus unserem Nothilfeeinsatzteam. Ich bewundere die Art und Weise, wie sie mit den Menschen in den Gemeinschaften, in denen wir tätig sind, interagiert und Liebe auf eine sehr greifbare und aufopferungsvolle Weise lebt. Die Art und Weise, wie sie sich auf die Bedürfnisse anderer konzentriert und Soforthilfe leistet, ist auf einem völlig anderen Niveau und wunderschön mit anzusehen. Ihr Glaube ist ebenso authentisch wie inspirierend – ein wichtiger Teil ihrer Stärke.
Oder Noor, deren positive Energie und gute Laune alles durchdringt, was sie tut. Das von ihr persönlich geleitete Sprachlerncafé in Gaziantep bringt Menschen über alle Grenzen hinweg in einem unterstützenden und ermutigenden Umfeld zusammen. Kurz gesagt, es ist ein fabelhafter, inspirierender Ort, an dem man sich wohlfühlt – nicht zuletzt wegen ihrer liebevollen Persönlichkeit und ihrer natürlichen Fähigkeit zur Versöhnung.
Oder Sadia, die ich in Darfur kennengelernt habe und deren Liebe ich heute noch spüre. Eine erstaunliche Frau, die die Türen ihres Hauses öffnete und Waisenkinder aufnahm. Sie machte uns jeden Tag zu besseren Menschen, indem sie einfach sie selbst war – eine unbeirrbar fröhliche und positive Persönlichkeit. Ich erinnere mich noch an die Wärme ihrer Umarmungen und sogar an den Geruch ihres Parfüms.
Es gibt noch so viele andere Frauen, die mich auf meinem Weg inspiriert haben, und wie gesagt, ich kann mich nur dafür entschuldigen, dass ich hier nicht alle nennen kann.
Ich möchte jedoch einige wesentliche Merkmale hervorheben, die alle gemeinsam haben. Ihre Stärke liegt darin, wie sie andere behandeln. Die Liebe und Fürsorge, die sie zeigen, ist ein Beweis für ihre Hoffnung. Vor kurzem habe ich jemanden sagen gehört: „Die Person mit der größten Hoffnung wird immer den größten Einfluss haben.“ Es ist nicht der Status oder die Position, die es uns ermöglichen, den größten Einfluss zu haben. Es ist die Qualität unserer Beziehungen, wer wir sind und wie wir andere wahrnehmen und behandeln.
Ihr alle wisst, wer ihr seid. Ich danke euch!