Um die Familien in informellen Siedlungen auf den Winter vorzubereiten, hilft ihnen Medair, Unterkünfte vor Kälte, Regen und Wind zu schützen.

Im Libanon leben über 1,5 Millionen Menschen unter prekären Umständen. Viele von ihnen in überfüllten informellen Siedlungen. Sie finden sich über das ganze Land verstreut. Dort wohnen Familien in Unterkünften, die aus Plastikplanen, Sperrholz und Holz gebaut sind und kaum Schutz vor den rauen Witterungsbedingungen bieten. Mit dem nahenden Winter drohen unablässiger Regen, starker Schneefall und heftige Winde. Dabei besteht die Gefahr, dass diese Unterkünfte überschwemmt werden oder einstürzen.

Unser Kommunikationsbeauftragter für den Libanon Abdul begleitete das Medair-Team, das Familien in informellen Siedlungen hilft, sich auf den Winter vorzubereiten. Dort lernte er einen Mann kennen, dessen Geschichte die Stärke und die Ausdauer derer widerspiegelt, die so viel verloren haben und dennoch nicht aufgeben.

 

Der 75-jährige Khalil hat seit seiner Flucht aus Syrien jahrelang in einem Zelt gelebt. Was als vorübergehend gedacht war, ist zu einem langen, ungewissen Abschnitt seines Lebens geworden. Khalil ist sanft und entgegenkommend. Seine Stimme heiser und zittrig, gezeichnet von Alter und Erfahrung. „Für mich beinhaltete sie das ganze Gewicht eines langen Lebens“, erinnert sich Abdul von Medair. „Seine Anwesenheit war tröstlich, ähnlich wie die meines Großvaters, wenn er mich rief, damit ich mich neben ihn setzte.“ Er fragte Khalil vorsichtig, ob es ihm nichts ausmache, wenn er ihn ein wenig besser kennenlernen dürfte – und vielleicht, wenn er sich wohlfühle, seine Geschichte mit ihm teilen würde.

Als er neben Khalil saß, ertappte Abdul sich dabei, wie er ihn aufmerksam betrachtete. Er nahm jedes Detail wahr, sein Gesicht, seine Körperhaltung, die Freundlichkeit, die er ausstrahlte. Die Falten in seinem Gesicht waren tief und zeugten von Härte und Leid. Seine Augen waren sanft, aber sie trugen eine stille Stärke in sich – als hätten sie mehr erlebt, als Worte ausdrücken könnten. Seine Arme ruhten ruhig auf seinem Schoß. Kräftig und fest. „Ich fühlte mich geerdet, als würde er mich in seine Welt einladen, ohne dass ich viel sagen müsste“, sagt Abdul.

Stellen Sie sich den Klang von Khalils Stimme vor, während er das Folgende erzählt: „Wir flohen, um unser Leben zu retten. Meine Frau und ich haben alles hinter uns gelassen. Ich sage mir: ‚Es ist okay. Es wird nur eine Weile dauern.‘ Aber Jahr für Jahr, Krise für Krise, wird der Kampf immer härter. Es gibt nicht mehr viel, was wir uns leisten können. Medikamente, Lebensmittel, Wasser – all das ist knapp geworden. Und dann bringt dich etwas – jemand – wieder zur Vernunft. Man macht weiter. Man muss stark sein, wie unsere Notlage zeigt. Doch schließlich sind wir alle Menschen. Und manchmal geben wir einfach auf.“

Khalil holt eine alte Tasche heraus und verstreut ihren Inhalt auf dem Boden. Er kniet sich hin und stützt sich mit dem Arm auf dem Knie ab. Ich sehe ihn und kniee mich instinktiv neben ihn. Er sieht Abdul an und sagt: „Sehen Sie sich die leeren Medikamentenpackungen an. Das meiste von dem, was du hier siehst, kann ich mir nicht mehr leisten. Ich kann mich nicht mehr gesund halten. Einiges davon ist lebensnotwendig für mich. Aber mit dem Wenigen, das wir haben, wurden die meisten meiner eigenen Bedürfnisse nebensächlich. Wir leben und sterben durch  Gottes Gnade, das ist meine Realität, das akzeptiere ich. Nach all den Jahren versuche ich immer noch, meinen Weg nach Hause zu finden.“

Mit der Unterstützung des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) prüft das Team von Medair die Wetterfestigkeit von Unterkünften. Dafür besuchen wir Familien, die in informellen Siedlungen leben, um den Zustand ihrer Unterkünfte zu beurteilen und ihnen zu helfen, sich auf die bevorstehenden Wintermonate vorzubereiten. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Auswirkungen extremer Witterungsbedingungen zu verringern und sicherzustellen, dass Familien den Schutz haben, den sie brauchen.

Während wir unserem Alltag nachgehen, übersehen wir leicht die Kämpfe, die sich um uns herum abspielen. In unserem eigenen Komfort – sei es eine Klimaanlage im Sommer, eine Winterjacke, der Gang in die Apotheke oder ein Essen mit unseren Lieben – vergessen wir vielleicht, dass es unzählige Geschichten wie die von Khalil gibt. Schaffen wir Raum für diese Geschichten.

Die Arbeit von Medair im Libanon wird u.a. durch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), dem Auswärtigen Amt und privaten Spenden unterstützt.