Chris Cooper ist Marathon-Läufer. Während eine Trainingurlaubs in Kenia im Jahr 2017, ahnte er nicht, dass sich sein Leben gänzlich verändern würde.

Als der alleinerziehende Vater in den ländlichen Gebieten Kenias die vielen leeren Schulzimmer antraf, ahnte er, dass viele Kinder in dem afrikanischen Land auf Lesen, Schreiben und Rechnen verzichten mussten – und damit auf Bildung, die ihnen, ihren Familien und der ganzen Bevölkerung so sehr zugutekommen würde. Als er begriff, dass das Bereitstellen von Mahlzeiten dazu beitragen würde, die Schulbänke zu füllen, nahm eine besondere Idee in seinem Kopf Gestalt an.

Zurück in Grossbritannien gründete Chris „Runners Heal„. Das Unternehmen verkauft T-Shirts und finanziert mit dem Erlös Reis und Bohnen für Schulkinder – aus regionalem Anbau in kenianischen Dörfern. Die T-Shirts mit der Aufschrift „We Run This“ werden mittlerweile von Sportlern und Menschen aus aller Welt gekauft und getragen, welche die Bewegung unsterstützen wollen. Seit Gründung konnten so bereits rund 500.000 Mahlzeiten an kenianische Schulkinder ausgegeben werden. Schon bald widmete Chris sich voll und ganz seinem erfolgreichen Start-up. Er reiste mehrmals nach Kenia, Uganda und Äthiopien und engagierte sich auch für andere humanitäre Hilfsprojekte. Vor kurzem besuchte er unser Medair-Projekt im Südsudan. Er wollte verstehen, warum gerade da die Unterernährungsraten so extrem hoch sind.

Chris reiste nach Renk, wo wir Kinder sowie schwangere und stillende Frauen wegen Unterernährung behandeln. Auch begleitete er eine Gruppe freiwilliger Frauen, die in die umlegenden Dörfer reisen und dort Frauen in guten Gesundheits- und Hygienepraktiken schulen. Chris besuchte den Südsudan während der Hauptregenzeit: Angebautes Gemüse und Getreide waren noch nicht erntereif und die Familien verfügten kaum mehr über Geld für Lebensmittel. Ausserdem liegt Renk im äußersten Nordosten an der sudanesischen Grenze und ist häufig von Grenzschliessungen betroffen, was die Nahrungsmittelknappheit verschärft sowie Preissteigerungen zur Folge hat.

Seine vielen Eindrücke aus dem Südsudan hielt Chris, nebenbei auch Hobbyfotograf, für seine Follower auf Social Media fest. Gegen Ende seines Aufenthalts baten wir Chris, über seine Erfahrungen zu berichten.

Du warst zum ersten Mal im Südsudan und hast auch zum ersten Mal ein Stabilisierungszentrum für unterernährte Kinder mit schweren medizinischen Komplikationen besucht. Was ging dir dabei durch den Kopf?

Mosab fiel mir sofort auf. Der Kleine war extrem abgemagert und seine Beine schimmerten violett. Er sass teilnahmslos auf dem Schoss seiner Mutter Rehma und weinte, was sich aber eher wie ein leises, schmerzhaftes Stöhnen anhörte. Man erklärte mir, dass seine Haut von der Unterernährung so trocken geworden war, dass sie sich ablöste. Die violetten Flecken stammten von der Salbe, die seine Wunden linderten. Mosab machte mir deutlich, welchen Herausforderungen die Medair-Teams täglich begegnen– und er war ja nur einer von ganz vielen kleinen Patienten.

Wie war es, Rehma und Mosab im Stabilisierungszentrum mit der Kamera einzufangen?

Fotos zu machen, schien mir zuerst unangemessen. Stattdessen überlegte ich fieberhaft, wie ich helfen könnte.

Doch Jimmy, der Klinikleiter, bat mich, meine Eindrücke festzuhalten. Er sagte, es wäre wichtig, die Bilder und Schicksale publik zu machen, damit die Welt sieht und nachvollziehen kann, was im Südsudan gerade wirklich passiert.

Rehma willigte ein, und wenn ich die Fotos jetzt anschaue, bin ich froh, dass ich anderen Menschen von ihrer Situation berichten kann. Meine ersten Gedanken damals waren jedoch ganz klar die eines Vaters, nicht die eines Fotografen.

Erzähl uns die Geschichte dieser Familie.

Während meinen drei Tagen in Renk traf ich viele Mütter. Auf der Geburtsstation oder mit ihren Kindern im Stabilisierungszentrum. Immer waren sie alleine da, ohne ihre Männer. Manche von ihnen blieben eine volle Woche mit ihren schwerkranken Söhnen und Töchtern im Krankenhaus, um die bestmögliche Pflege zu erhalten. Sie erzählten mir, wie sehr sie sich gleichzeitig um ihre anderen Kinder sorgten, die sie zuhause hatten zurücklassen müssen.

Alnor war mir sofort sympathisch – er war der einzige Vater, dem ich in meiner Zeit in Renk begegnete. Er saß die ganze Zeit am Bett seiner Frau und seines Kindes und ich wollte ihn unbedingt wissen lassen, wie sehr mich das beeindruckte. Wir machten Witze und seine Frau und er baten mich, ein Foto von ihrer Familie zu machen.

Wasser spielt bei der Bekämpfung von Unterernährung eine grosse Rolle. Was hat es damit auf sich?

In den vergangenen zwei Jahren durfte ich verschiedene Regionen in Ostafrika besuchen und habe viel über die Herausforderungen gelernt, mit denen die Menschen dort konfrontiert sind. Der Feldbesuch mit Medair im Südsudan führte mir jedoch nochmals ganz neu den direkten Zusammenhang zwischen sauberem Trinkwasser und Unterernährung vor Augen:

Wie viele andere Leute dachte ich immer, dass Unterernährung allein durch einen Mangel an Nahrungsmitteln verursacht wird. Dabei spielen Wasser und Hygiene eine nicht zu unterschätzende Rolle – besonders bei Kleinkindern. Sind die Hygienebedingungen und der Zugang zu Trinkwasser mangelhaft, so erhöht sich das Erkrankungsrisiko von Kleinkindern drastisch. Nahrhaftes Essen stärkt das Abwehrsystem. Fehlt dieses, sind die Kleinen krankheitsanfälliger und es kann sich rasch eine akute Unterernährung entwickeln.

Die Aufbereitung von Oberflächenwasser hat mich fasziniert. An allen Orten, die ich bisher besucht hatte, war es möglich, durch Bohrungen an Grundwasser zu gelangen. In Renk ist das anders: Wasser ist nur vom Nil oder als Regenwasser erhältlich. Wasser vom Nil ist genug vorhanden – aber dieses muss zwingend gereinigt werden. Zwar funktioniert das eingesetzte Filtersystem sehr gut, es kann jedoch nur von Menschen, die in Flussnähe wohnen, genutzt werden.

Wie wirkt sich die wirtschaftliche Lage im Südsudan auf die Lebensmittelpreise aus?

Die meisten Menschen, mit denen ich in Renk gesprochen habe, essen eine Mahlzeit pro Tag. Meistens ist das Sorghum, ein nahrhaftes Getreide, das ähnlich wie Reis zubereitet oder als Brei gegessen wird. Sorghum gilt als Grundnahrungsmittel und wird auch vom Welternährungsprogramm (WFP) verteilt.

Im vergangenen Jahr sind die Preise für Lebensmittel und Haushaltsartikel aufgrund von Engpässen und Grenzschliessungen um 100 Prozent gestiegen. Was dieser tägliche Kampf ums Überleben für Familien in Renk bedeuten muss, lässt sich nur erahnen.

Yak arbeitet für Medair in Renk. Er lud mich zu sich nach Hause ein. Seine Frau erzählte mir, dass alles, was es auf dem Markt zu kaufen gibt, extrem teuer sei. Yak hat als Einziger in seiner Familie eine Arbeit und muss mit seinem Lohn Monat für Monat 15 weitere Personen durchbringen.

Wie verlief dein Treffen mit den Frauen der Care Group (Selbsthilfegruppe), die sich freiwillig in ihren Gemeinschaften engagieren.

Als ich kam, hiessen mich die Frauen mit Gesang willkommen. Ich war sprachlos und fühlte mich geehrt. Dann erzählten sie mir aus ihrem Leben – da hat sich mir eine ganz neue Welt aufgetan.

Ich fragte in die Runde, wer seine Kinder zur Schule schicken könne. Sehr wenige meldeten sich. Und noch geringer war die Anzahl Frauen, die früher selbst zur Schule gegangen waren.

Soziale Ungleichheit ist für mich ein extrem schwieriges Thema – egal, ob es dabei um die wirtschaftliche Situation, die ethnische Herkunft oder das Geschlecht geht. Ungleichheit zwischen Männern und Frauen gibt es natürlich nicht nur im Südsudan. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass Frauen im Südsudan eine unglaublich schwere Last innerhalb ihrer Familien zu tragen haben. Ihr Leiden bewegten mich tief. Gleichzeitig spürte ich jedoch auch ihren Stolz und ihre Entschlossenheit. Nach unserem Gespräch fragten mich die Frauen: «Jetzt weisst du Bescheid über unsere Situation. Was wirst du tun, um uns zu helfen?» Ich konnte sehen, dass es sie Mut kostete, ihre Probleme so deutlich zu benennen und für sich einzustehen.

In der Runde wurde aber auch viel und laut gelacht – den einzigartigen Humor dieser Frauen werde ich nie vergessen!

Es war meine erste Kooperation mit einer Hilfsorganisation. Ich muss zugeben, dass ich am Anfang etwas skeptisch war und das Ganze mit hohen Boni und luxuriösen Unterkünften assoziierte. Medair beeindruckte mich jedoch sehr. Die Organisation hat eine klare Vision und einen klaren Auftrag, die auch vor Ort von allen gelebt werden. Die Mitarbeitenden tragen ihr Medair-Logo mit Stolz.

Die Hingabe, die internationale Einsatzkräfte an den Tag legen, indem sie ihr Zuhause für lange Zeit verlassen und auf jeglichen Komfort verzichten, um für andere da zu sein, bewundere ich sehr. Ohne Zweifel gibt ihnen die Zusammenarbeit mit den warmherzigen, leidenschaftlichen lokalen Medair Mitarbeitenden auch viel zurück – es war jedenfalls ein echtes Privileg für mich, diese «locals» treffen zu dürfen.

Welches Foto hat für dich die stärkste Aussagekraft – und warum?

Dieses Foto versetzt mich augenblicklich in den Südsudan zurück. Hier ist der sanftmütige Jimmy gerade dabei, ein Kind im Stabilisierungszentrum zu untersuchen. Das Foto symbolisiert für mich, was der Südsudan braucht: Fürsorge, Geduld, Anleitung und Freundschaft. Und vor allem: Liebe und Frieden.

Lieber Chris, vielen Dank, dass du unser Südsudan-Projekt besucht hast und danke, dass du dich so sehr für Menschen in Not einsetzt. Dein Engagement und deine Begeisterung haben unsere Teams und die lokalen Gemeinschaften sehr ermutigt. Wir freuen uns, wenn du bald wieder ein Projekt von uns besuchst – bis zum nächsten Mal!

Chris wird Medair auch in anderen Ländern besuchen und sich im Rahmen von «Runners Heal» während humanitären Krisen für Notleidende einsetzen. Sind Sie an weiteren Berichten von Chris Cooper interessiert? Mit unserem Newsletter bleiben Sie auf dem Laufenden.