Der Südsudan hat eine außergewöhnlich hohe Müttersterblichkeitsrate. Im jüngsten Land der Welt stirbt jede siebte Frau während der Schwangerschaft oder bei der Geburt. Eine unzureichende Infrastruktur, die Entfernung zu Gesundheitseinrichtungen und ein geringes oder gar kein Einkommen lassen den Frauen wenig Hoffnung, die benötigte Gesundheitsversorgung zu erhalten.

Patricia (links), Südsudanesin, und Jacinta (rechts), Australierin, sind beide erfahrene Hebammen, die mit Medair im Bezirk Aweil Centre, im äußersten Nordwesten des Südsudan, arbeiten. Sie versorgen Frauen und ihre Neugeborenen mit dringend benötigten Gesundheitsleistungen.

Wir haben ihnen einige Fragen zu ihrer Arbeit gestellt.

In welcher Situation befinden sich schwangere Frauen in dem Gebiet, in dem Sie arbeiten?

Jacinta: In einem Land wie dem Südsudan ist es sehr schwierig, Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung zu erhalten. Für viele Frauen gibt es weder die Möglichkeit, in ein Krankenhaus zu gelangen, noch sich einen Transport für lange Strecken zu leisten. Wenn zu Hause nicht alles nach Plan läuft, zum Beispiel während der Wehen, ist es leider oft zu spät für ein Eingreifen.

Patricia: Die meisten Frauen, die ihr Baby im Krankenhaus zur Welt bringen wollen, müssen drei oder mehr Stunden zu Fuß gehen. Manchmal kommen sie sogar von weiter her und müssen irgendwo unterwegs übernachten, um am nächsten Tag ihren Fußmarsch fortzusetzen. So kommt es vor, dass Mütter am Straßenrand gebären müssen, da sie das Krankenhaus nicht mehr rechtzeitig erreichen. Können Sie sich das vorstellen?

Wie unterstützen Sie und Ihr Team schwangere und junge Mütter?

Patricia: Wir bieten Frauen und ihren Babys an 16 Standorten im Bezirk Aweil Centre vor- und nachgeburtliche Betreuung an. In diesem Rahmen impfen wir auch und klären die Frauen über gute Gesundheits- und Hygienepraktiken auf. Wir helfen ihnen zudem bei der Familienplanung, indem wir sie ermutigen, zwischen den Schwangerschaften genügend Zeit einzuplanen, um die beste Gesundheit für ihren Körper und ihre Kinder zu gewährleisten.

Jacinta: Kürzlich haben wir zusätzlich ein 24-Stunden-Entbindungszentrum eröffnet, damit Frauen sicher gebären und nach der Entbindung betreut werden können. So sind wir in einer sehr kritischen Zeit für sie da. Indem wir den Frauen diese Gesundheitsdienstleistungen anbieten, möchten wir eine Beziehung zu ihnen aufbauen und ihnen zeigen, dass uns ihr Wohlergehen am Herzen liegt. Dabei ist es uns wichtig, uns Zeit für die Mütter zu nehmen, sie zu fragen, wie es ihnen geht und uns ihre Geschichten anzuhören. Zum Beispiel war da ein schwangeres Mädchen im Teenageralter, das wir in unserer Klinik aufnahmen. Ihre Eltern lebten nicht mehr und sie war an einen Mann ‚weggegeben‘ worden. Uns war klar, dass wir ihre Umstände nicht ändern konnten. Aber wir waren in der Lage, ihr die medizinische Versorgung zu geben, die sie brauchte. Und wir konnten ihr zuhören und für sie und ihre Geschichte Interesse zeigen. Für uns gehen diese beiden Elemente der Betreuung Hand in Hand. Wir sind froh, auf diese Weise für Frauen da sein zu können.


 

Das erste geborene Baby im neuen Medair-Entbindungszentrum in Aweil

Wie beeinflusst das Corona-Virus Ihre Arbeit? 

Patricia: Corona hat alles verändert. Dennoch dürfen wir die Leistungen, die wir anbieten, nicht einschränken oder aufschieben, da Frauen weiterhin vor, während und nach der Geburt betreut werden müssen. Deshalb haben wir eine große Anzahl notwendiger Schutzmaßnahmen getroffen. Abstand zu halten ist in einer Klinik nicht einfach, aber wir erinnern uns selbst und einander immer wieder daran, wie wichtig es ist.

Was hat Sie dazu bewogen, Hebamme zu werden und dann im Südsudan tätig zu sein? 

Jacinta: Mein Glaube an Gott und der Wunsch, den er mir ‚aufs Herz gelegt‘ hat: Dass ich meine Fähigkeiten und Leidenschaft dafür einsetzen kann, das Leben von Frauen und ihren Babys ein bisschen besser zu machen. Es ist mir ein riesengroßes Anliegen, mich für ihr Wohl einzusetzen.

Ich bin nun schon seit 17 Jahren Hebamme. Aber jedes Mal, wenn ich einer Mutter bei der Geburt ihres Kindes helfe, ist es immer noch eines der wunderbarsten Dinge, die ich mir vorstellen kann.

Patricia: Als Kind nahm mich meine Tante regelmäßig mit zu Dorfgemeinschaften, in denen es keine medizinischen Angebote gab. Sie wollte mir zeigen, was dies für die Menschen bedeutet. Manchmal verlor eine Mutter ihr Kind, weil es keine Gesundheitsversorgung gab. Oder die Mutter verstarb. Damals versprach ich mir selbst:

Eines Tages werde ich Hebamme
und setze mich dafür ein,
solche Todesfälle zu verhindern.

Jacinta untersucht eine Mutter in einem Zentrum für reproduktive Gesundheit in Maban, wo Medair früher tätig war. Foto vor Ausbruch von Corona aufgenommen. ©MAF/LuAnne Cadd

Warum leisten Sie diese Arbeit und nehmen dabei beide in Kauf, weit weg von Ihren Familien zu leben? 

Patricia: Meine Mutter und meine Tochter sind in Uganda. Auch mein Sohn lebt weit entfernt. Ich war nie lange mit meiner Familie zusammen. Natürlich vermisse ich sie, aber zumindest kann ich regelmäßig mit ihnen reden. Gott sei Dank gibt es das Internet! Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, ständig umzuziehen und an verschiedenen Orten zu leben. Wo ich bin, da gehöre ich hin.

Im Leben geht es nicht nur darum, was ich selber möchte. Die Bedürfnisse anderer Menschen sind auch wichtig.

Ich gehe dorthin, wo ich gebraucht werde. Ich fühle mich glücklich und gesegnet, hier sein zu dürfen und der Gemeinschaft zu helfen, lebenswichtige Gesundheitsleistungen zu erhalten.

Jacinta: Es gab Zeiten, in denen es mir schwerfiel, weit weg von Australien zu leben und langsam aber sicher mein Gefühl dafür zu verlieren, wo meine Heimat ist. Mittlerweile sind meine Eltern älter geworden und es ist nicht einfach, so weit entfernt zu leben. Gleichzeitig ist diese Arbeit für mich, wie eben auch Patricia sagte, ein großer Segen. Ich liebe es, mit unseren südsudanesischen Kollegen zusammen zu sein, die sich mit Herzblut für ihre Arbeit einsetzen und das Bestmögliche für ihre Mitmenschen geben. Häufig mussten sie erhebliche Entbehrungen in Kauf nehmen, um zu studieren und sich für diese Arbeit zu qualifizieren. Es ist sehr inspirierend, von ihnen zu lernen. Ich hatte Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln, die ich nicht gemacht hätte, wenn ich zu Hause geblieben wäre.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen Ihrer Arbeit?

Patricia: Manchmal erlauben es uns die Umstände nicht, die volle Unterstützung zu geben, die wir gerne leisten möchten. Beispielsweise kann die Überweisung eines Neugeborenen in das nächstgelegene Krankenhaus für eine spezialisierte Behandlung sehr lange dauern und das Kind erreicht das Krankenhaus möglicherweise nicht mehr rechtzeitig. Es ist unglaublich hart, wenn so etwas geschieht. Ich muss mich selber immer wieder daran erinnern, dass es einzig darauf ankommt, unser Bestes innerhalb der Rahmenbedingungen zu geben, in denen wir arbeiten.

Möchten Sie noch etwas anfügen? 

Jacinta: Die meisten Menschen gehen davon aus, dass nur Frauen Hebammen werden. Wussten Sie jedoch, dass von unseren sieben Hebammen fünf Männer sind? In Australien habe ich nicht viele männliche Entbindungspfleger kennengelernt, aber hier in Aweil gibt es eine ganze Reihe. Sie behandeln Frauen sehr respektvoll, mit viel Fürsorge und Aufmerksamkeit und die Mütter fühlen sich wohl dabei.

Ein Medair-Entbindungspfleger untersucht ein Neugeborenes in einer Medair-Klinik im Bezirk Aweil Centre. Dieses Foto wurde vor Ausbruch des Coronavirus aufgenommen. 


Die Projekte von Medair in Aweil werden von der britischen Regierung, der US-Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) und privaten Spendern finanziert. 

Die Inhalte dieses Artikels stammen von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten sowie dem globalen Unterstützungsbüro. Die Meinungen entsprechen ausschließlich den Ansichten von Medair und damit nicht unbedingt auch dem offiziellen Standpunkt anderer Hilfsorganisationen.