Berichte Jordanien
Ein Kuss für Papa
Wie sich Medair in Jordanien um schwangere und stillende Frauen kümmert.
Zwischen aufgetürmten Holz-Paletten und geschäftigen Gabelstaplern stürmt Haihat auf ihren Vater zu, quer über das Gelände des Sägewerks im Südosten Ammans. Vor dem ehemaligen Vorarbeiter-Büro wartet Ahmad auf seine sechsjährige Tochter – wie an jedem Wochentag um 13 Uhr, wenn das Mädchen aus dem Kindergarten nach Hause kommt. Mit einem letzten großen Satz springt sie in die offenen, ausgestreckten Arme des Vaters. Haihat ist Ahmads ganzer Stolz. Für ihre Zukunft und die Sicherheit seiner Familie tut er alles. Und erträgt seit mehr als sechs Jahren ein Leben in Armut und Abhängigkeit in Jordanien.
In der spärlichen Unterkunft, die früher den Schreibtisch des Poliers beherbergte, warten seine Frau Alqudimi und auf ihrem Arm der neun Monate alte Sohn Shaif. Ahmads Blick fällt mit einer Mischung aus Zuversicht und Sorge auf Shaif, der Dank Medairs Hilfe gesund in Amman geboren wurde. „Alqudimi hat Diabetes und benötigt Insulinspritzen“, erzählt Razan, Medair-Gesundheitsmitarbeiterin in Amman. Bereits während der ersten Schwangerschaft mit Haihat erhielt die Familie Hilfe vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR. Nachdem das Programm zur Betreuung werdender Mütter eingestellt wurde, kümmerte sich Medair um die Familie. „Während der Schwangerschaft mit Shaif bekam meine Frau hohen Blutdruck, der bis heute geblieben ist“, ergänzt Ahmad. Auch dafür benötige sie Medikamente. „Niemals hätte ich das Geld dafür selbst aufbringen können“, sagt der 41-Jährige.
Ahmad und seine Familie vor ihrer spärlichen Unterkunft im Süden Ammans.
Wie Ahmads Familie ergeht es Tausenden Vertriebenen, die in Jordanien Zuflucht gefunden haben. Legaler Arbeit dürfen Geflüchtete aus dem Jemen, Irak oder Sudan nicht nachgehen. Doch leben muss auch Ahmads Familie, die im Jahr 2018 aus Sanaa im Jemen vor bewaffneten Huthi-Milizen nach Jordanien geflohen war. Ahmad schlägt sich mit Hilfsarbeiterjobs durch, schleppt trotz massiver Knie- und Rückenschmerzen schwere Kisten im hiesigen Supermarkt um die Ecke, lädt Waren von Lastwagen ab. 130 Jordanische Dinar (JD) bekommt er dafür im Monat, was nicht einmal für die Medikamente reicht, die seine Frau benötigt. „Der Chef des Supermarkts ist nett und hat Verständnis für unsere Situation“, sagt er bescheiden. Schon oft hat er sich von Freunden Geld geliehen, um über die Runden zu kommen. Zurückzahlen kann er es nicht.
Der Vater sitzt auf dem einzigen Stuhl im Zimmer, das seit zwei Jahren das neue Zuhause der Familie ist. In Gedanken versunken blickt er zu Boden. Man kann nur erahnen, wie schwer die Bürde ist, nicht ausreichend für die Familie sorgen zu können. „Wie sollen wir für unseren Lebensunterhalt aufkommen?“, fragt Ahmad kurz darauf verzweifelt. Seine Stimme bebt. „Ich muss für dieses eine Zimmer, in dem wir leben, Miete zahlen. Ich muss Essen kaufen, Medikamente, muss Strom und Wasser bezahlen. Wie soll das funktionieren?“, fragt er erneut. 450 JD im Jahr koste alleine die Gebühr, damit Tochter Haihat einen privaten Kindergarten besuchen könne.
Alqudimi hat Diabetes und benötigt Insulinspritzen. Bereits während der ersten Schwangerschaft mit Haihat erhielt die Familie Hilfe.
Für eine gute Ausbildung seiner Tochter stemmt sich Ahmad mit allen verfügbaren Mitteln gegen die finanzielle Abwärtsspirale, die kaum zu durchbrechen ist. Wie lange die Familie das durchhalten kann, ist ungewiss. Die Angst, das bisschen Zuhause und Hoffnung wieder zu verlieren, ein ständiger Begleiter. An eine Rückkehr in die Heimat, in der Ahmads Mutter ausharrt, ist nicht zu denken. Der Konflikt im Jemen befindet sich in seinem neunten Jahr, und ein Ende ist nicht in Sicht. Millionen sind weiterhin auf der Flucht und versuchen zu überleben.
Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln versucht Medair mit Unterstützung der Europäischen Union, Geflüchteten und gefährdeten jordanischen Familien durch Bargeldhilfe verbesserten Zugang zu reproduktiver Gesundheit und dringenden lebensrettenden medizinischen Leistungen zu ermöglichen. Im Zentrum steht die Versorgung von schwangeren und stillenden Frauen rund um die Geburt des Kindes. Bevor die Begünstigten jedoch Unterstützung erhalten, wird eine Bedarfsanalyse durchgeführt. Da die Mittel begrenzt sind, können nicht alle Bedürftigen erreicht werden. Ahmads Familie wurde anhand definierter Kriterien ausgewählt und ins Programm aufgenommen. Regelmäßig erhielt die Familie Besuch von Medair-Gesundheitsmitarbeiterin Razan und ihren Kolleginnen vom Jordanien-Team.
„Haihat ist ein cleveres Mädchen“, sagt die Medair-Gesundheitsberaterin Razan. Für ihre Zukunft nimmt Vater Ahmad viel Leid in Kauf.
Während Ahmad die bewegende Geschichte ihrer Flucht erzählt, spielt Razan vertraut mit Tochter Haihat auf dem Teppich. „Sie ist ein cleveres Mädchen“, sagt die Medair-Mitarbeiterin nach einer Weile und streicht ihr fürsorglich über das Haar. Der Vater lächelt bei diesen Worten. Kurz verschwinden die Sorgenfalten auf seiner Stirn. „Ja, das ist sie.“
Medair in Jordanien
Mit Unterstützung des Auswärtigen Amts und der Europäischen Union verbessern wir den Zugang für Flüchtlinge und gefährdete Jordanier zu reproduktiver Gesundheit, dringenden lebensrettenden medizinischen Leistungen und nicht übertragbaren Krankheiten durch Bargeldhilfe und direkte Umsetzung durch das Institut für Familiengesundheit. Wir bieten Kurse zu Verbesserung der mentalen Gesundheit an und bieten ein massgeschneidertes Case Management für Haushalte in Not. Wir kümmern uns in Jordanien um Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen. Abgerundet wird der Maßnahmenkatalog mit der Durchführung von speziellen Kursen zur Entwicklung der Fähigkeiten von Kindern mit Hörbehinderungen und Beeinträchtigungen und ihren wichtigsten Bezugspersonen in der Gebärdensprache.