Ashling O'Donnell, MEDAIR-Projektbeauftragte im Libanon, erklärt, warum Wetterschutz-Sets so wichtig sind für die in Zelten lebenden Geflüchteten im Bekaa-Tal.

Der anhaltende Konflikt in Syrien hat Millionen von syrischen Menschen zur Flucht aus ihrem Land gezwungen, wovon 1,5 Millionen Vertriebene im Libanon Zuflucht gefunden haben. Da im Libanon jedoch ein Siedlungsverbot gilt und aufgrund des anhaltenden wirtschaftlichen Abschwungs die meisten Formen der Unterbringung unerschwinglich sind, leben etwa 300 000 der syrischen Geflüchteten dort in mehr als 6000 informellen Zeltsiedlungen. Zelte sind leider nicht die sichersten Unterkünfte. Sie können leicht beschädigt werden und benötigen fortlaufend Reparaturen. Deshalb sind die Geflüchteten auf spezielle Wetterschutz-Sets – sogenannte UNHCR Medium Repair Kits – angewiesen, womit ihre Zelte wetterfest gemacht werden können und sichergestellt werden kann, dass ihre Familien über die Wintermonate trocken und geschützt bleiben.

Ich sitze in Omars Büro und verschaffe mir einen Überblick über die Liste der informellen Siedlungen, die sein Team im Laufe des Tages besuchen wird. Als Projektleiter des Programms für wetterfeste Unterkünfte berichtet er von der Hektik der vergangenen Woche. Sein Team steckt mitten in der Nothilfephase der Zeltabdichtungen. Nach den jüngsten Stürmen und Schneefällen haben sie zahlreiche Anrufe von syrischen Geflüchteten erhalten, die in informellen Siedlungen leben und deren Zeltdächer undicht oder in einigen Fällen sogar eingestürzt sind. Omars Team geht diesen Anrufen nach, indem sie den Zustand der Zelte beurteilen und anhand der sektoralen UNHCR-Richtlinien feststellen, ob die Familien Anspruch auf ein Wetterschutz-Set für ihr Zelt haben.

Ich bin Anfang Februar in Zahlé eingetroffen, um als Projektbeauftragte im Libanon die Programmteams zu unterstützen. Zahlé ist die bevölkerungsreichste Stadt im Bekaa-Tal, einem Gebiet mit der grössten Anzahl registrierter Geflüchteter im Libanon. Aufgrund der „No-Camp“-Politik der libanesischen Regierung, die den Bau von Lagern verbietet, leben viele Geflüchtete aus Syrien in informellen Siedlungen auf gemietetem Land. Da sie zudem keine dauerhaften Bauten errichten dürfen, haben die Geflüchteten an diesen Orten Zelte aus Holz, Planen und anderen Materialien errichtet. Der Syrienkonflikt geht bereits in sein zwölftes Jahr, und die Geflüchteten befinden sich weiterhin in einem langwierigen Schwebezustand. Angesichts der begrenzten Möglichkeiten für eine lokale Integration und einer Rückkehr nach Syrien, von welcher viele kaum zu träumen wagen, ist die Ungewissheit ein täglicher Begleiter.

Heute begleite ich Omar und sein Team zu einer informellen Siedlung etwa zwanzig Minuten außerhalb von Zahlé. Geplant ist, den jüngsten Hilferufen nachzugehen und Wetterschutz-Sets zu verteilen. Auf der Fahrt durch das Bekaa-Tal fallen mir die vielen weißen Bauten auf, die die Landschaft prägen und je nach Region von einer Handvoll bis zu über hundert Zelten reichen. Omars Team besucht zuerst das von Medair betriebene UNHCR-Lagerhaus, um dort Hilfsgüter abzuholen. Ordentlich aufeinandergestapelt sind dort Matratzen, Planen, Feuerlöscher, Bauholz, Sperrholz, Decken, Öfen und Brennstoff – alles Dinge, auf die die Geflüchteten angewiesen sind, um ihre Zelte zu reparieren und sie bewohnbar zu machen.

Der MEDAIR Assessment Manager (Bewertungsleiter) Omar begutachtet eine informelle Siedlung.

Wir erreichen die erste informelle Siedlung. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von neunzehn Zelten, die zwischen Lagerhäusern, einer Autobahn und Feldern liegt. Das Team stellt sich den Anwohnenden vor und bittet um ein Gespräch mit dem Shawish, dem designierten Vertreter der Siedlung. Nachdem der Shawish seine Zustimmung zur Aufnahme der Arbeiten gegeben hat, ruft das Team die Haushalte auf, die Anspruch auf Wetterschutz-Sets haben. Mit den in den Sets enthaltenen Materialien wie etwa Bauholz, Sperrholz, Planen und Betonblöcken können undichte Stellen in den Zelten repariert, Hab und Gut aus überschwemmten Böden gehoben werden und insgesamt sichergestellt werden, dass die Familien trocken und vor rauen Wetterbedingungen geschützt bleiben.

Während das restliche Team die Verteilung der Sets vornimmt, schließe ich mich Omar und dem Assessment Assistant (zu Deutsch: Bewertungsassistenten) Ziad an. Die beiden besuchen die Familien, die per Anruf um Hilfe gebeten haben. Zuerst erklären die Familien jeweils die strukturellen Probleme an ihren Zelten. Omar und Ziad hören dabei aufmerksam zu und begutachten dann die Zelte von außen und innen, um sich die Probleme zu notieren.

Auf unserem Weg durch die Siedlung bekommen wir unerwartet Verstärkung. Herbei watschelt die kleine Halomi und schließt sich unserer Gruppe an. Sie schlängelt sich zwischen den Zelten hindurch und etabliert sich autoritär als Gruppenleiterin, indem sie uns auf die Tauben aufmerksam macht, die die Geflüchteten halten und untereinander tauschen, und demonstriert, wie ein über Dachsparren geschlungenes Seil als Schaukel dienen kann.

Die Plastikplanen des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) werden mit einem Lastwagen in die verschiedenen Orte im libanesischen Bekaa-Tal transportiert und verteilt.

Schnell merke ich: Hier herrscht ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Die Menschen und Strukturen in der Siedlung scheinen wie durch ein Band miteinander verbunden zu sein. Diese Bande zeigen sich in der Art und Weise, wie sich die Menschen zwischen den Zelten bewegen und sich gegenseitig begrüßen, oder darin, wie Menschen das Innere ihrer Zelte dekoriert haben. Sorgfältig an Wänden und Decken angebrachte Stoffe verhüllen Sperrholz und Planen und vermitteln den Anschein von Dauerhaftigkeit. Und doch koexistiert diese mit einer unterschwelligen Zerbrechlichkeit. Die in informellen Siedlungen lebenden Familien sind von Zwangsräumungen bedroht und müssen stets damit rechnen, ihr Zuhause zu verlieren. Aufgrund der Wetterbedingungen verwittern zudem Materialien wie etwa die Plastikplanen, die die Zelte von außen bedecken. Ohne die kontinuierlichen Maßnahmen für die Unterkünfte von Organisationen wie Medair würde die Lebensqualität der Geflüchteten in den informellen Siedlungen weiter sinken. In diese langwierige Situation der Unbeständigkeit, mit denen die Menschen täglich konfrontiert sind, bringen diese Maßnahmen zumindest etwas Beständigkeit.

Das Team hat die Verteilung der Wetterschutz-Sets und die Bewertungen für diesen Standort abgeschlossen. Schon ist es an der Zeit für uns zu gehen. „Yalla bye“, sage ich zu Halomi, und sie ahmt meine Bewegungen nach und winkt so ihrer Mutter zum Abschied. Ihre Mutter lacht. Jemand reicht Halomi klugerweise eine Banane. Sie nimmt ihren kleinen Arm von meinem Bein, um sie entgegenzunehmen, und geht dann fröhlich davon. Ich hätte nie gedacht, dass mein Wert gegen ein Stück Obst aufgewogen werden könnte. Auf unserer Rückfahrt denke ich über die Widerstandsfähigkeit dieser Gemeinschaft nach und darüber, wie mutig Halomi mit den Menschen und Strukturen um sie herum interagiert. Im Libanon schaffen sich die Geflüchteten im Spannungsfeld zwischen Dauerhaftigkeit und Vergänglichkeit weiterhin ein Zuhause.

In einer informellen Siedlung in der Nähe der Stadt Zahlé begrüßt Larissa, die Medair Projektbeauftragte, die kleine Halomi.

Die Aktivitäten von Medair zur Schaffung von wetterfesten Unterkünften im Bekaa-Tal werden vom UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) finanziert.