Rebekah Rice, Medair-Expertin für Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygiene (WASH) im Länderprogramm Jemen, berichtet über ihre Rückkehr in das Land während der Covid-19-Pandemie.

„Ich war eine der ersten internationalen Mitarbeitenden, die nach dem weltweiten Lockdown mit einem von der UN gecharterten Flug wieder in den Jemen flog. Die Grenzen waren im Mai geschlossen worden. Die Rückkehr war eine gigantische Herausforderung: Verhandlungen über Einreisebestimmungen, Visum, Flugbuchungen und viele Detailfragen. Erst als ich die Einwanderungskontrolle am Flughafen Aden hinter mir hatte, wusste ich, dass ich es geschafft hatte.

Wir können die Arbeit im Jemen nun fortsetzen. Darüber bin ich froh. Unsere jemenitischen Mitarbeiter werden sich dadurch besser unterstützt fühlen. Die Wochen zuvor lief der Dialog nur per E-Mail oder Videokonferenz. Und da ich wieder im Land bin, verstehe auch ich selbst die Nöte besser und kann entsprechend reagieren. Während der Quarantäne arbeite ich noch vom Schlafzimmer aus. Sobald sie vorüber ist, werde ich hoffentlich bald meine Kollegen wieder treffen können – selbstverständlich auf Abstand. Doch wer weiß, wie sich die Dinge entwickeln? 

Das Riskanteste, was ich je getan habe

Gerade jetzt in den Jemen zurückzukehren, ist wahrscheinlich das Riskanteste, was ich je getan habe: Hier, wo Covid-19-Fälle kaum gemeldet werden und die Gesundheitssysteme sehr anfällig sind, kann man kaum mit guter medizinischer Behandlung rechnen, wenn man an Covid-19 erkrankt. Wir wissen, dass Menschen im Jemen mit Covid-19-Symptomen sterben. Da aber sehr wenige Tests durchgeführt werden, erscheinen diese nicht als Covid-19-Todesfälle in den Statistiken. Vermutlich liegt es daran, dass einerseits das Gesundheitssystem überlastet ist und die Behörden andererseits nicht in der Lage sind, angemessen zu reagieren. Gleichzeitig sind auch Dengue- und Chikungunya-Viren ausgebrochen. Da es für diese beiden Krankheiten im Land ebenfalls keine Tests gibt, ist die Bestimmung der Todesursache besonders schwierig. Berichten von offiziellen Stellen zufolge verfügt der Jemen lediglich über 520 Intensivbetten und weniger als 200 Beatmungsgeräte. Man mag sich nicht ausmalen, wie es den Menschen im Jemen gehen könnte, wenn das Corona-Virus weiter um sich greift. 

Nicht nur die Pandemie bedroht den Jemen

Es ist jedoch nicht nur die Pandemie, die den Jemen bedroht. Nach wie vor ist ein Bürgerkrieg im Gange, der vor einer erneuten Eskalation steht. Vor einigen Wochen wurde Aden zudem von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht, bei denen Menschen obdachlos und mehrere Camps für inländische Flüchtlinge von faulig stinkendem Wasser überflutet wurden. Das vergrößert die Gefahr eines Choleraausbruchs. Den Jemeniten bleibt wirklich nichts erspart. 

Die humanitäre Hilfe im Jemen darf nicht aufgrund von Covid-19 gestoppt werden. Wenn dies geschieht,werden die Menschen, die wir beschäftigen, arbeitslos. Familien und Kinder werden an Hunger sterben, weil es keine Nahrungsmittelverteilung gibt. Und sie sterben an Cholera, weil es an sauberem Wasser fehlt. Wir müssen all diese Auswirkungen einerseits abwägen und gleichzeitig sicherstellen, dass unsere Mitarbeitenden bei ihrer Arbeit sicher sind. Aber wie soll man sicher in Gemeinschaften arbeiten, von denen wir nicht wissen, wie weit sich Covid-19 unter ihnen bereits ausgebreitet hat?

Alles tun, um zu helfen

Und doch wollen wir alles dafür tun, dass die Menschen Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und zu medizinischer Grundversorgung haben und darüber aufgeklärt werden, wie wichtig das richtige Händewaschen ist. Diese Überlegungen lasten schwer auf meinem Herzen. Wie nur können wir solche Entscheidungen treffen? Wie können wir zum Einhalten von Abstandsregeln motivieren, wenn die Kultur auf sozialer Nähe aufbaut und wenn die Bevölkerung aufgrund des Krieges täglich ums Überleben kämpfen muss?

 

Die Inhalte dieses Artikels stammen von Mitarbeitenden von Medair in den Einsatzgebieten sowie am internationalen Hauptsitz. Die Meinungen entsprechen ausschließlich den Ansichten von Medair und damit nicht unbedingt auch dem offiziellen Standpunkt anderer Hilfsorganisationen.

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