Vor 30 Jahren wurde Medair gegründet. Blicken Sie mit uns auf Erreichtes zurück – und welche Herausforderungen und Chancen vor uns liegen. David Verboom ist seit vorigem Jahr Leiter von Medair International am Hauptsitz in der Schweiz. Im Interview spricht er darüber, was Medair auszeichnet und wie er sich die Zukunft der Organisation vorstellt.

 

David Verboom trifft Kinder im Kutupalong-Flüchtlingslager in Bangladesch.

  • Ihre humanitäre Arbeit begann 1998 mit Medair. Warum engagieren Sie sich nach all den Jahren erneut für die Organisation?

David Verboom: Für mich ist Medair einzigartig. Ihr Konzept ist einzigartig. Ich nenne es „People to people“ – ein Ansatz, der den Menschen als Individuum ins Zentrum rückt. Wir reisen in Gebiete, in denen kaum andere Hilfsorganisationen arbeiten. Wir besuchen abgelegene Orte, wo keine richtige Straße hinführt. Denn genau dort ist der Bedarf an Hilfe meist am größten. Das ist unser Auftrag: Besonders schwer erreichbare Orte erreichen; unser ganzes Know-how für Menschen in Not einsetzen und ihnen neue Hoffnung schenken.

Zudem möchten wir Menschen mobilisieren. Wir fördern und schulen Fachkräfte aus der ganzen Welt und helfen ihnen bei der Entfaltung ihres Potenzials. So entwickeln wir die nächste Generation von humanitären Helfern und Führungspersönlichkeiten. Diesen Weg bin ich selbst auch gegangen. Nach meinem Studium in Ingenieurswissenschaften und Betriebswirtschaft arbeitete ich zunächst in den Niederlanden als Unternehmensberater. Doch ich wollte mehr! Ich wollte mich für Menschen in Not engagieren. Medair gab mir die Möglichkeit: Ich arbeitete im Süden des Sudan als humanitärer Helfer und bald konnte ich führende Positionen übernehmen. Ich bin sehr glücklich, nach all den Jahren wieder Teil dieser besonderen Organisation zu sein.

  • Welche Rolle spielt Medair innerhalb der humanitären Gemeinschaft?

Ich bin überzeugt, dass Medair mit ihrem Menschen-fokusierten Ansatz eine wichtige Rolle für die zukünftige Entwicklung des humanitären Sektors spielt. Es droht die Gefahr, dass Organisationen aus dem humanitären Bereich oder der Entwicklungshilfe immer mehr industrieartige Wesenszüge annehmen und sich eine richtiggehende „Hilfsindustrie“ entwickelt.

Wir dürfen uns nicht davon abbringen lassen, unseren Fokus auf das wirklich Wesentliche zu richten: Menschen in Krisen auf der ganzen Welt beizustehen. Dieses Ziel erreichen wir zum Beispiel durch den Einsatz von innovativer Technologie. Auch in entlegenen Regionen gibt es mittlerweile Internet. Davon machen unsere Teams während Bedarfsanalysen Gebrauch. Sie befragen die Bedürftigen direkt mithilfe von Smartphones und Tablets und halten deren spezifische Wünsche fest.

Egal, ob ein Hilfseinsatz mitten im kongolesischen Dschungel, einem Flüchtlingslager im Libanon oder einem abgelegenen afghanischen Dorf durchgeführt wird: Unsere Mitarbeitenden erkundigen sich direkt bei den Betroffenen nach ihren Bedürfnissen und ermitteln, wo sie mit den Hilfsleistungen am besten ansetzen können. Auch Rückmeldungen zur Organisation und Verbesserungsvorschläge werden so dokumentiert. Es geht darum, eng mit den Hilfeempfängern zusammenzuarbeiten, sie in Entscheidungen mit einzubinden und eine Grundlage zu schaffen, damit sie ihre Zukunft selbstbestimmt gestalten können.

  • Wo sehen Sie Medair in fünf Jahren?

Aufgrund des Klimawandels nimmt die Zahl der Naturkatastrophen weiter zu. Leider häufen sich menschengemachte Krisen ebenso, denken Sie an Syrien, den Südsudan oder Afghanistan. Durch die steigende Zahl von Krisen sind nach Angaben der Vereinten Nationen 135 Millionen Menschen täglich auf humanitäre Hilfe angewiesen. 65 Millionen Menschen mussten ihr Zuhause verlassen und leben als Flüchtlinge im Ausland – oder sind Binnenvertriebene im eigenen Land.

Noch nie zuvor gab es so viele hilfsbedürftige Menschen wie heute. Wir brauchen einen besseren Zugang zu den betroffenen Gemeinschaften, mehr hochqualifizierte Fachkräfte, die wir in diese schwierigen Gebiete entsenden können, und die finanziellen Mittel, um auf den wachsenden Bedarf zu reagieren.

Die aktuelle Weltlage birgt aber auch Chancen für den humanitären Sektor. Wichtige Fragen drängen sich auf: Wie können wir kosteneffizienter arbeiten? Wie können wir bei der Bereitstellung von Hilfe innovativer sein? Es geht nicht nur darum, im humanitären Sektor ein paar Modifikationen vorzunehmen. Es geht darum, unseren Ansatz komplett zu überdenken. Um dem steigenden Bedarf an humanitärer Hilfe gerecht zu werden, brauchen wir völlig neue Methoden, welche die vorhandenen Ressourcen besser nutzen.
Auch wir als Organisation werden unser Modell anpassen, damit wir Gemeinschaften in Krisen auch zukünftig optimal unterstützen können. Wir möchten uns stetig verbessern, um den von Katastrophen und Armut betroffenen Menschen die Hilfe und die Mittel zukommen zu lassen, die es ihnen ermöglicht, ihre Zukunft wieder selbst in die Hand zu nehmen.

  • Was möchten Sie den Unterstützern von Medair mitteilen

Ich möchte mich bei jedem Einzelnen bedanken, der unsere Arbeit unterstützt; seien dies institutionelle Partner, Unternehmen oder private Spender. Auch unseren ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die Medair ihre Zeit und ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen, möchte ich ganz herzlich “Danke!” sagen. Mein Dank geht auch an jene, die für uns beten. Und selbstverständlich an die Männer und Frauen, die in unseren Einsatzgebieten an vorderster Front Hilfe leisten. Jeder einzelne Beitrag und jeder Einsatz macht für die Betroffenen einen großen Unterschied.

Außerdem würde es mich sehr freuen, wenn sich noch mehr Menschen unserem Netzwerk anschließen würden, sei dies mit einer Spende, im Gebet oder indem sie für uns arbeiten. Teilen Sie Berichte über Medair auf Social Media, besuchen Sie einen unserer Events in Ihrer Nähe oder starten Sie Ihre eigene Fundraisingkampagne.

Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie Sie sich engagieren können. Nur dank Ihrer Hilfe können wir Menschen in Not erreichen. Finden Sie heraus, ob und wie Sie sich persönlich einbringen möchten – und legen Sie am besten gleich los!

Vielen Dank für das Gespräch!