Ich sitze auf dem Boden eines kleinen Zimmers. Fünf Jugendliche schauen mich an. Die kalten Betonmauern sind teilweise mit Plastikfolien abgedeckt. Es ist ein sehr ungewöhnlicher Ort für ein Zuhause.

Vor acht Jahren verloren Rama, Dima, Suzzane, Ahmad und Ali* ihre Eltern. Barfuß flohen die Geschwister mit Verwandten aus SyrienNach einer beschwerlichen Reise durch die Berge erreichten die Kinder schließlich die Stadt Arsal im Norden des Libanon. Seither kümmert sich ihre Tante Soaad um die Fünf. Ihr neues Zuhause ist nun dieses Zimmer aus kargen Betonwände und ein Dach aus Zink 

Von links nach rechts: Soaad mit Rama (10), Dima (14), Suzzane (12), Ahmad (15) und Ali (16).

Arsal ist eine der größeren Städte im Libanon. 30.000 syrische Flüchtlinge leben hier, verteilt über 160 informelle Siedlungen. Im April 2019 verfügte die libanesische Regierung, dass die Flüchtlingsunterkünfte in diesen Siedlungen abgerissen werden müssen.

Innerhalb eines Monats mussten Tausende Familien ihr “Zuhause” räumen. Lediglich eine ein Meter hohe Überdachung durfte stehen bleiben, um den Familien ein Minimum an Schutz vor möglichen Überschwemmungen und Schnee zu bieten.

Medair hat im Libanon innerhalb der “Shelter Working Group” (Arbeitsgruppe im Bereich Unterkünfte) im Bekaa-Tal eine führende Rolle. Gemeinsam mit anderen humanitären Organisationen weiteten wir nach diesem Entscheid unsere Nothilfe auf die Stadt Arsal und Umgebung aus. Wir wollten Familien wie die von Ali unterstützen.

Unsere Nothilfeteams beurteilten den Zustand hunderter Unterkünfte und verteilten mehr als 500 Bausätze (finanziert durch das UNHCR und den Lebanon Humanitarian Fund) an obdachlos gewordene Familien.

“Vergangenes Jahr mussten wir unser Haus räumen. Das war hart.” Alis Blick schweift aus dem Fenster. “Mein Onkel entfernte das Dach und riss die Wände nieder. Danach beseitigten mein Bruder und ich die Trümmer”, erzählt der 16-Jährige. “Sechs Nächte verbrachten wir dort oben auf dem Hügel bei den Ziegen. Ich konnte nicht schlafen. Um uns herum bellten Hunde. Schon um sechs Uhr früh war es taghell. Kannst du dir das vorstellen?”

 

Der 16-Jährige Ali

 

Aussicht aus dem Fenster.

Eine Frage, auf die wir nur mit betretenem Schweigen antworten können. “Ich danke Gott für eure Hilfe”, seufzt Soaad. Eine Träne läuft über ihre Wange. “Wir haben mehr als nur die Wärme und die Geborgenheit der Unterkunft verloren. Wir wurden unserer Privatsphäre beraubt.” Soaad blickt die jungen Mädchen an. “Der Winter naht und der ist unerbittlich. Letztes Jahr saßen wir mehrere Tage lang im Schnee fest.”

Wie hunderte andere Familien benötigen Ali und seine Geschwister dringend Unterstützung. Die syrischen Flüchtlinge in Arsal sind noch immer täglich mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Deshalb werden wir uns auch in den kommenden Monaten für die Sicherheit syrischer Flüchtlinge in Arsal einsetzen.

Bevor ich gehe, kann ich mir eine Frage nicht verkneifen. Was Ali und seine Geschwister später einmal werden möchten, will ich wissen. Ihre Antworten berühren mich: Rama will eine Ausbildung als Schneiderin machen. Suzzane möchte einfach nur spielen. Dima träumt von einer Karriere als Sporttrainerin, Ahmad sieht sich als Mechaniker. Und Ali? Dem Ältesten ist es wichtig, dass er für seine Geschwister sorgen kann und sie genug zu essen haben. Zudem möchte er mehr über Computer, Handys, Technologie im Allgemeinen lernen.

Die Situation dieser Kinder ist alles andere als leicht. Doch zum Glück haben sie jetzt ein sicheres Dach über dem Kopf.

 

Alis Bruder Ahmad neben dem Zelt der Familie in Arsal.

Alle Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert.  

 

Bitte unterstützen Sie mit einer Spende unsere Projekte in Krisen- und Konfliktregionen. Wir möchten weiterhin Menschen die Hilfe geben, die sie so dringend brauchen. Vielen Dank!