Madagaskar ruft "Ernährungsnotfall" aus

Im Grand Sud Madagaskars hat die schwerste Dürre seit 1981 zu einer schweren humanitären Krise geführt. Zwischen November 2020 und Januar 2021 fielen dort weniger als 50 Prozent des normalen Niederschlags. Fast 70 Prozent des Gebietes sind betroffen.
Der Grundwasserspiegel ist in vielen Bezirken auf kritisch niedrigem Niveau und der Zugang zu Trinkwasser stark einschränkt. Dies führt dazu, dass die Ernährungssicherung von annähernd 40 Prozent der Bewohner dieser Region stark gefährdet ist.
Experten erwarten, dass die Situation in eine Hungersnot mündet. Auch die Rate akuter Unterernährung ist stark gestiegen. Während im Dezember 2020 noch 38 Gemeinden den „Ernährungsnotfall“ ausgerufen hatten, war diese Zahl bis April 2021 auf 97 gestiegen. Außerdem wird erwartet, dass sich die Situation von Oktober bis Dezember 2021 weiter verschlechtert. In den zurückliegenden 24 Monaten griffen immer mehr Menschen zu verzweifelten Mitteln, um zu überleben: Sie essen Heuschrecken, rohe rote Kaktusfrüchte oder wilde Blätter. Die landwirtschaftlichen Erträge sind minimal.

Betroffene sind in Projekt eingebunden.

Dieses Medair-Projekt wird von Evelyn Speich-Baer, einer Deutsch-Schweizerin, geleitet. Sie erklärt: „Das Frühwarnsystem verbindet Mensch und Technik sehr effektiv. Auf der einen Seite nutzen wir Satellitentechnologie und neueste Blitzmess-Sensoren. Andererseits besprechen wir mit den Dorfbewohnern Evakuierungswege und zeigen Dorfältesten, Frauen und jungen Erwachsenen, wie sie sich und ihre Gemeinschaft im Falle einer Flutkatastrophe retten können.“ Möglich ist dieser Erfolg nur, weil Medair die Menschen in den betroffenen Gebieten von Beginn an in das Projekt eingebunden hat. Weit über 5.000 Freiwillige arbeiten bei der Notfallvorsorge mit. Sie alle werden in einwöchigen Kursen so geschult, dass sie im Katastrophenfall angemessen reagieren.

"Madagaskar ist ein Land, das besonders stark vom Klimawandel betroffen ist. Frühwarnsysteme zu entwickeln und zu unterstützen und nationale sowie lokale Krisenreaktionsteams zu aufzubauen und zu begleiten ist entscheidend, um Auswirkungen von Naturkatastrophen zu reduzieren. Wenn wir moderne Technologien einsetzen, die richtigen Menschen zusammenbringen und in Katastrophenvorsorge investieren, können wir Menschenleben schützen und mögliche Schäden oder Wiederaufbaukosten vermeiden." Franck Porte, Leiter der Delegation der Europäischen Union für Zusammenarbeit mit Madagaskar

Sicherheit für Anwohner ist gewährleistet
Auf der technischen Seite verbindet das System Daten, die an ganz unterschiedlichen Stellen gesammelt werden, unter anderem mit Drohnen, Wassersensoren und Wettersatelliten. So lassen sich Starkregen, bevorstehende Überschwemmungen und andere Gefahren ziemlich exakt vorhersagen. Bei tatsächlich drohender Gefahr löst die Einsatzzentrale Sirenen in dem betroffenen Gebiet aus. Die Bewohner bringen sich zuverlässig in Sicherheit, weil sie anhand der Vorhersagen wissen, an welcher Stelle des Flusses Gefahren lauern und wo es sicher ist.
“Wenn sie Unterstützung benötigen, rufen sie die Notrufnummer 930 an. Dort erhalten sie telefonisch Informationen, wie sie sich selbst helfen können. Das ist nötig, weil viele Orte in Madagaskar für Rettungskräfte kaum erreichbar sind“, erläutert Evelyn Speich-Baer.

Gleichzeitig übermitteln die Bewohner auf dieser Nummer Details zur tatsächlichen Situation vor Ort an die Einsatzzentrale. Wenn also beispielsweise das Wasser höher steigt, als vorhergesagt, lassen sich die Daten im Computersystem anhand der Rückmeldungen anpassen.
„Auch für den Fall von Zerstörungen ist vorgesorgt. Ein Notfallteam verteilt unmittelbar nach dem Ereignis Wasser, Hygieneartikel, Planen, Decken oder Seile zum Bau von Notunterkünften. Dieses Team wurde zusätzlich ausgebildet, Brunnen zu reinigen, damit die Menschen rasch wieder Zugang zu sauberem Wasser haben.”

Multidisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Partner
Das Projekt, das von Medair federführend koordiniert wird, ließ sich nur umsetzen, weil sich Partner mit verschiedenen Arbeitsschwerpunkten auf eine fächerübergreifende Kooperation eingelassen haben. Neben Experten für Wettervorhersagen sind das zum Beispiel die madegassische Katastrophenschutzbehörde, eine schweizerische Organisation für Entwicklungszusammenarbeit, ein heimischer Mobilfunkanbieter und viele weitere.

„Neben diesen unverzichtbaren Partnern ist es uns von Medair immer wichtig, die Betroffenen als Teilhaber in unsere Arbeit und Projekte einzubinden – in Madagaskar ebenso wie in anderen Einsatzländern. Gesellschaftliche Entwicklung in den ländlichen Regionen Madagaskars ist nur möglich, wenn Dorfälteste zur Mitarbeit gewonnen werden können. Das uns das gelungen ist, macht uns sehr zuversichtlich, mit dem Projekt 930 in Zukunft viele Menschen retten zu können“

Evelyn Speich-Baer

Madagaskar
Madagaskar gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. Laut Angaben der Weltbank leben
75 Prozent der Bevölkerung von weniger als 1.90 US-Dollar am Tag. Zwei Drittel der Menschen leben in Gebieten mit hohem Naturkatastrophenrisiko. Besonders häufig hat der Inselstaat mit Wirbel- und Tropenstürmen, Dürren, Epidemien und Insektenbefall zu kämpfen.

Medair in Madagaskar
Medair arbeitet seit 2002 in Madagaskar. Die Not- und Katastrophenhilfsorganisation reagierte zunächst auf den enormen Hilfsbedarf nach einem Zyklon. Seither unterstützt sie von extremer Armut oder von Naturkatastrophen betroffene Menschen mit sauberem Wasser, Sanitäranlagen und Hygieneleistungen und stellt Unterkünfte bereit. Bei Katastrophen arbeitet Medair eng mit lokalen Gruppierungen zusammen – wie zum Beispiel Pfadfindern und Kirchen. Diese können Bedürftige im ganzen Land schnell mit Hilfe versorgen. Auch die Widerstandsfähigkeit der Menschen gegen Naturkatastrophen erhöht Medair durch Schulungen und die Vermittlung geeigneter Maßnahmen.


Die Arbeit in Madagaskar wird unterstützt durch die Abteilung EU-Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe.